Jahresthema

Gedanken zum neuen Jahresthema
Das Jahr der Freiräume neigt sich dem Ende. Konnten Sie sich freimachen von übermäßigem Druck? Ist es Ihnen gelungen, mehr freie Zeiten einzuplanen? Mehr Zeit für die Familie, für sich selber, für Gott? Haben Sie es geschafft, sich mal mit ganz außergewöhnlichen Dingen zu beschäftigen? Haben Sie mal etwas ausprobiert, was Sie immer schon mal machen wollten, allein oder im Freundeskreis? Oder hatten Sie zu viel Freiraum im Alltag? Ist es Ihnen schwergefallen, Zeit neu zu füllen, anders zu erleben.
Das Jahr der Freiräume hat mir gezeigt, dass ich nicht frei bin etwas zu tun oder zu lassen, dass es mir schwerfällt, allein oder mit anderen etwas zu genießen, zu gestalten, zu bewegen, wenn ich nicht diese Kraft in mir spüre, die mich leben lässt, die mir Mut macht, die nicht aus mir selber kommt, die mir geschenkt wird an jedem Morgen neu. So ist es quasi eine Fortsetzung des letzten Jahresthemas, wenn wir uns im neuen Jahr in verschiedener Weise damit auseinandersetzten wollen, welche Kraftquellen wir für das Leben haben.
Bei den Autos ist das klar, welchen Kraftstoff sie brauchen: Das eine fährt mit Benzin, das andere mit Diesel, ein drittes braucht Strom. Aber wie ist das bei uns Menschen? Woher beziehen wir unsere Kraft fürs Leben? Was tut uns gut? Was gibt uns Energie? Was trägt dazu bei, dass wir unseren Weg fortsetzen können ohne ins Schleudern zu geraten, ohne dass ein Getriebeschaden eintritt an Leib und Seele?
Der christliche Glaube kann so eine Kraftquelle fürs Leben sein. Das Schöne ist, dass es ganz unterschiedliche Möglichkeiten gibt, diese Kraftquelle zu erleben. Für den einen ist es die Verkündigung im Gottesdienst, für den anderen die Feier des Abendmahls oder das tägliche Gebet. Da lässt sich auftanken durch Musik oder Stille, durch Bewegung und Nachdenken in der Natur beim Pilgern. Und ich möchte die Erfahrung in der Gemeinschaft nicht missen, Zuwendung in der Beziehung, das Gestärkt werden durch Wertschätzung im Freundeskreis und unter Kollegen.
Kraftquellen für das Leben. Wir werden in den nächsten Ausgaben des Gemeindebriefes diese unterschiedlichen Möglichkeiten, Gottes Kraft in uns zu spüren, ausführlicher beleuchten. Wir werden auf Veranstaltungen aufmerksam machen, in denen wir diese Kraftquellen erfahren können. Nehmen Sie doch an der „Nacht der Kirchen“ teil (siehe Seite 9). Da kann man auftanken in der Stille, bei Musik, im Betrachten von Bildern, im Gespräch über die Bibel. Vielleicht haben Sie ja auch Lust mit „Zwölf-Apostel on Tour“ auf Pilgerreise zu gehen (siehe Seite 10). Oder seien Sie dabei, wenn Cantiamo mit dem Musikkreis Laatzen die „Missa lumen“ aufführt (siehe Seite 8). Seien Sie gespannt auf die Sommerkirche, in der es um das Auftanken mit allen Sinnen gehen wird.
Entdecken und genießen Sie Ihre Kraftquellen, damit Sie so gestärkt Ihre Freiräume gestalten können. n Pastorin Annegret Austen Jahresthema Kraftquellen für das Leben – Auftanken mit allen Sinnen Gedanken zum neuen Jahresthema
Aus: Gemeindebrief 4 - 2019

Ein Weg, Gott zu erleben?
Hatten Sie schon einmal den Wunsch, alles hinter sich zu lassen? Auszusteigen aus Ihrem normalen Leben? Ihrem Beruf, Ihren Freunden, Ihrer Familie und (ganz wichtig!) auch Ihrem Handy und Ihren E-Mails für einige Zeit den Rücken zu kehren?
Diesen Wunsch hatte ich im Jahr 2007. Schon damals ist mein Leben voll von guten Dingen: dem Theologie- Studium, guten Freundinnen und Freunden, meiner Familie, die Auftritte unserer Band, die mich an den Wochenenden regelmäßig durch die halbe Bundesrepublik führen.
Ein schönes, ein reiches und ein aufregendes Leben. Ein Leben, für das ich dankbar bin. Und doch ist ein Wunsch in mir immer stärker geworden: auszusteigen. All das für eine Zeit hinter mir zu lassen. Ich sehne mich nach Ruhe, nach Für-mich-Sein, nach Zeit, Dinge zu überdenken und zu ordnen. Zeit, um wieder mit mir selbst und mit Gott in Kontakt zu kommen.
Also entscheide ich mich, die letzten vier Wochen meiner Semesterferien auf dem Jakobsweg zu pilgern. Alleine wäre mir das wahrscheinlich zu heikel gewesen (ich bin nicht sonderlich erfahren in Wanderungen), aber zum Glück habe ich einen guten Freund, der sich ebenfalls im Pilgern versuchen und die immerhin gut 800 Kilometer des „Camino Francés“ mit mir laufen will. Als gebürtiger Franke hat er auch schon so einige Bergsteiger- Touren hinter sich und berät mich in Sachen Vorbereitung und Ausrüstung.
Bewaffnet mit Wanderstiefeln, Rucksack und Stab geht es los. Der Weg führt von Saint-Jean-Pied-de- Port über die Pyrenäen, dann quer durch Nordspanien und bis nach Santiago de Compostela. Jeden Tag laufen wir an die 25 Kilometer. Je nach Laune und körperlicher Verfassung manchmal aber auch nur zehn, oder auch mal gute fünfzig. Anfangs ist das ganz schön heftig. Mein Körper ist es nicht gewohnt, stundenlang mit knapp fünfzehn Kilo auf dem Rücken zu wandern. Zwischenzeitlich tut gefühlt alles weh: der Rücken, die Knie, die Füße. Aber dann komme ich langsam an in dem neuen Tages- und Lebensrhythmus. Er ist immer gleich. Aufstehen. Den Schlafsack zusammenrollen. Meine sieben Sachen packen. Und dann: laufen. Immer ein Fuß vor den anderen. Stundenlang. Unterwegs einen Müsliriegel und einen Apfel frühstücken. Alle paar Stunden eine kurze Rast. Meine Wasserflasche an einem Brunnen füllen. Dann weiter. Immer weiter laufen. Gegen Nachmittag in irgendeinem Ort oder eine Stadt einlaufen. In die nächste Kirche gehen (die gibt es überall zuhauf). Endlich den schweren Rucksack abstellen. Mich für fünf Minuten in eine Kirchenbank setzen. Genießen, dass ich für heute am Ziel bin. Der Stille lauschen. Staunen, wie gut das ist. Ein Gebet sprechen. Dann eine bescheidene Pilgerherberge aufsuchen. Einen neuen Stempel für meinen Ausweis bekommen. Duschen. Irgendwo etwas Verpflegung kaufen und einen „Café con leche“ trinken. Später etwas in der Gemeinschaftsküche kochen oder mir ein günstiges Pilgermenü leisten. Mit denen reden, die ich auf dem Weg treffe: Aussteiger. Lebenskünstler. Wanderfreudige. Suchende. Neue Fragen und neue Antworten hören. Irgendwann in den Schlafsack kriechen, manchmal mit vierzig anderen im gleichen Raum. Die Augen schließen. Mich über die Schnarcher ärgern. Und dann trotzdem irgendwann einschlafen.
Am Ende, in Santiago de Compostela, wird mein Pilgerausweis überprüft. Jeder, der die letzten 100 Kilometer zu Fuß gelaufen ist, bekommt die 'La Compostela' ausgestellt: eine Urkunde, die die Pilgerreise offiziell bescheinigt. Aber ich nehme weit mehr mit nach Hause. Es war gut, den Weg zu machen. Einfach und bescheiden zu leben. Die unglaublich vielseitige Natur Nordspaniens zu sehen. Zu laufen, zu denken, zu beten.
Ich habe das Pilgern als eine Quelle erlebt, aus der ich neue Kraft gewinnen kann. Als wir den Heimweg antreten, bin ich ganz erfüllt und dankbar. Für besondere Menschen, die ich getroffen habe. Für manchen weinseligen Abend. Für Zeit für mich. Und dass ich Gott auf dem Weg begegnet bin. Im Laufen, im Schweigen, im Alleinsein. Da habe ich ihn gefunden.
Pastor Raphael Below
Aus: Gemeindebrief 1 - 2020

Gemeinschaft, Hoffnung und berührende Worte
Es ist schon eine besondere Herausforderung, in der Zeit der Corona- Krise über Kraftquellen nachzudenken. In dieser Zeit merke ich immer wieder, wie gut es mir tut, wenn ich etwas erlebe, das mir Kraft gibt. Oder ich spüre gerade jetzt recht deutlich, dass es ganz schön zu schaffen macht, wenn genau das fehlt, was einen sonst beflügelt, aufrichtet, ermutigt, einem eben Kraft gibt.
Viele Menschen erzählen davon, dass ihnen in schwierigen Zeiten der Zusammenhalt in der Familie Kraft und Halt gegeben hat. Die Familie. Freundschaftliche Beziehungen. Soziale Kontakte. Mit diesen Menschen teilen, was das Leben schön und schwer macht, daraus ziehen viele Menschen Kraft. Manchmal bekommt etwas, das ich erlebt habe, noch einmal eine ganz andere Tiefe, wenn ich davon erzählen kann. Sorgen lassen sich leichter tragen, wenn andere wissen, was mich bedrückt. Von schönen Momenten kann man länger zehren, wenn man sich mit anderen daran erinnern kann.
Wir erleben gerade, wie wichtig es jetzt ist, dass man nicht alleine ist, auch wenn man vielleicht räumlich getrennt ist. Was wir jetzt erleben, betrifft uns alle. Da entsteht ein Gemeinschaftsgefühl der besonderen Art. Plötzlich wird einem bewusst, wie wir alle aufeinander angewiesen sind. Da kommen Berufsgruppen in den Blick, deren Arbeit sonst nicht soviel Wertschätzung zuteil wird. Die jüngere Generation hat einen so massiven Einschnitt in die Freiheit, das Leben zu gestalten, noch nicht erlebt, und sie hört jetzt vielleicht genauer hin, wenn die Älteren von ihren Erinnerungen an die Zeiten im Krieg erzählen, als es Einschränkungen und Verbote gab, wenn auch aus anderem Grund und nicht mit Blick auf das Wohl aller Menschen. Damals mussten auch sie improvisieren. Damals konnten manche vielleicht nur überleben, weil es Hilfsbereitschaft und Solidarität gab. Auch damals konnte man lange Zeit seine Liebsten nicht sehen, manchmal wusste man sogar nicht, ob sie noch am Leben sind. Damals war nicht nur das Mehl und die Seife und das Klopapier knapp. Damals wusste man manchmal nicht, was man am anderen Tage essen sollte. Da jammern wir heute auf hohem Niveau. Und das nicht nur mit dem Blick auf vergangene Zeiten in unserem Land. Berichte aus den Flüchtlingslagern in Südeuropa, Bilder von den erbärmlichen Unterkünften, machen mich ganz still. Nicht auszudenken, was passiert, wenn das Virus dort ausbricht, vielleicht ist es das auch schon, wenn der Gemeindebrief erschienen ist.
Angesichts dieser Bedrohung durch die Pandemie wird Hoffnung für mich zu einer nicht wegzudenkenden Kraftquelle. Alles, was mich hoffen lässt, das gibt mir Mut für die nächste Zeit. Da ist die Hoffnung, dass durch die Zusammenarbeit der verschiedenen Wissenschaften Wege aufgezeigt und Mittel gefunden werden, wie der Großteil von uns diese Zeit überleben kann, gesundheitlich und existentiell. Da ist die Hoffnung, dass das solidarische Denken und Handeln, das zurzeit spürbar ist, prägend sein wird für die nächste Zeit. Da ist die Hoffnung, dass kreative Ideen das Miteinander der Menschen auch weiterhin beflügeln. Und da gibt mir nicht zu guter Letzt auch die Hoffnung Kraft, dass Gott uns durch diese Zeit führt und gerade denen nahe sein will, die keinen Grund zur Hoffnung mehr haben. Er verlässt die Seinen nicht, das ist meine Zuversicht.
Kraftquellen, das sind für mich auch immer wieder mutmachende Worte, die mir geschenkt werden. Ob es vertraute Liedstrophen sind, die mir auf einmal in den Sinn kommen, Verse aus den Psalmen oder auch ganz neue Gedanken, die im Netz geteilt werden. Da spüre ich: Menschen denken ähnlich wie ich, vor langer Zeit oder ganz aktuell. Sie sprechen mir aus dem Herzen. Sie berühren mich mit ihren Worten, spenden Trost, stimmen mich zuversichtlich. Sie geben mir Kraft. Auch diese guten Worte können wir teilen. Mitteilen. Mit anderen teilen. Denn sie verbinden. Stiften Gemeinschaft. Wie freue ich mich, wenn mir jemand berührende Worte schenkt, mir Grund zur Hoffnung gibt, mich Gemeinschaft erfahren lässt. Kraftquellen – nicht nur zur Coronazeit.
Pastorin Annegret Austen
Aus: Gemeindebrief 2 - 2020

Kraft schöpfen aus Klang und Tönen
„Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist“
(Victor Hugo, 1802 – 1885)
Musik prägt uns von Kindesbeinen an, berührt uns im tiefsten Inneren. Sie verändert unseren Herzschlag und Blutdruck, unsere Atemfrequenz und Muskelspannung. Sie beeinflusst unseren Hormonhaushalt.
Ihre helle Seite: Musik kann verzaubern, trösten, Balsam für die Seele sein, das Gehirn mobilisieren, Glückshormone produzieren, Kinder zum Einschlafen bringen oder im Gesang fröhlich stimmen, ihre Entwicklung fördern. Und sie kann als therapeutisches Mittel dienen: Verhaltensgestörte Menschen verbessern ihr Aggressionsmanagement; Demenz-Patienten gelingt es, Erinnerungen und Gefühle aus dem Schleier des Vergessens zu retten.
Ihre dunkle Seite: Musik kann vernichtend wirken, wird daher auch für zerstörerische Zwecke genutzt, denn sie wirkt unmittelbar auf Körper und Geist. Eine Trösterin, die zur Peinigerin werden kann: während der Weltkriege, in Guantanamo. Die Kombination aus Lautstärke und Dauer der Beschallung führt zu schweren körperlichen und psychischen Schäden.
Wie naiv erscheint angesichts dessen das Zitat Thomas Carlyles (1795 – 1881): „Die Musik wird treffend als Sprache der Engel beschrieben.“ Weniger romantisch, aber nicht ohne Augenzwinkern schreibt etwa hundert Jahre später Albert Einstein: „Wenn einer mit Vergnügen zu einer Musik in Reih und Glied marschieren kann, dann hat er sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon völlig genügen würde.“
Bleiben wir bei den Engeln. Wenn alles stimmig läuft, findet bei deren Musik eine geheime Interaktion zwischen Ausführendem und Hörendem statt. Beide korrespondieren auf derselben sphärischen Frequenz: beinahe himmlisch. Solche besonderen Momente kenne ich auch aus unseren Gottesdiensten: eine Gemeinde, jung und alt, die aufmerksam meinen Tönen am E-Piano lauscht, sich mitnehmen lässt und den Raum mit stiller Andacht füllt: auch für mich immer wieder ein erhebendes Gefühl, das bei den beiden Musikandachten in Bledeln und Wassel seine Vollendung fand – leider maskengeschädigt. Dennoch: Am Schluss der Andacht in Wassel ließ sich die Gemeinde einladen, zu meinem Klavierspiel die Melodien der beiden irischen Segenslieder zu summen: „Möge die Straße“ und „Mögen sich die Wege“, und ich improvisierte darüber. Das war erhebend. Es gab Menschen in den Reihen, die so ergriffen waren, dass ihnen Tränen kamen. Glücksmomente, die einmal mehr offenbaren, welchen hohen Stellenwert der Gesang im Gottesdienst haben und wie befreiend er selbst summend wirken kann – und in was für einer psychischen Anspannung wir momentan leben.
Allerdings: Auch bei Engelsmusik kann sich der Zuhörer bisweilen durchaus wie auf glühenden Kohlen fühlen. Ein zäher, steifer oder nicht enden wollender Musikvortrag mit unzähligen Sätzen oder Wiederholungen kann für den Hörer eine echte nervliche Herausforderung sein, wie eine Zwangsjacke – bei allem Respekt vor dem Interpreten oder Komponisten. Doch immerhin gab es auch unter letzteren Vertreter, beispielsweise den schwedischen Komponisten Wilhelm Stenhammar, die selbst im Nachhinein von einigen ihrer Werke Abstand nahmen. Da dürfen auch wir schon mal unruhig auf dem Stuhl herumrutschen, wenn musikalisch-atmosphärisch so gar nichts herüber kommen will. In das „Wir“ schließe ich allerdings diejenigen Erwachsenen nicht ein, die – egal bei welcher Musik – ihrem Mitteilungsbedürfnis ständig und stets mehr oder weniger lautstark freien Lauf lassen, während sich ein paar Meter weiter vielleicht ein Engel an seinem Instrument abmüht. – Als sich vor vielen Jahren an Heiligabend in Groß Lobke das Gemurmel nach dem Glockenläuten nicht beruhigte, klappte ich meine Bachnoten zu und spielte den ersten Satz einer für ungeübte Ohren wenig engelhaften Sonate von Paul Hindemith – und bekam einen Rüffel vom an sich liberalen Pastor Knauer.
„Es gibt nur zwei Arten von Musik: gute und schlechte. Es kommt nicht darauf an, was du spielst, sondern wie du spielst“ (Louis Armstrong, 1901 – 1971). Wie wahr! Und so bin ich dieser Kirchengemeinde – vom Gottesdienstbesucher über das Pastorenteam bis zum Kirchenvorstand – für die Offenheit und das Wohlwollen mir und meiner Musik gegenüber, selbst wenn ich manchmal ein paar schräge Töne anschlage, dankbar.
Herzlich grüßt
Ihr Hans-Jürgen Niemann
Aus: Gemeindebrief 3 - 2020