Abschied von geliebten Traditionen

Auch Weihnachten wird dieses Jahr anders werden
„Ich muss zur Weihnacht in Bethlehem sein,
sonst wird mir mein Herze nicht froh,
ich muss zwischen Hirten und Engelein knien,
im Stalle auf Heu und auf Stroh.“
Dieses alte Weihnachtslied habe ich früher oft mit meiner Familie gesungen. Und wie der unbekannte Autor dieses Stücks, der Weihnachten (zumindest im Kopf) unbedingt in Bethlehem verbringen möchte, fand auch ich: Weihnachten – das sollte möglichst jedes Jahr gleich sein.
Adventszeit und Festtage folgten bei uns einem immer gleichen Ablauf: Unser Haus wurde geschmückt, der Herrnhuter Stern mühevoll zusammengesetzt und über dem Spinett aufgehängt. An die Fenster kamen Sterne, die wir aus Transparent-Papier gebastelt hatten. Mein Vater baute aus einer alten Baumwurzel, Tannenzweigen und vier dicken Kerzen einen riesigen Adventskranz. Es wurden Plätzchen gebacken, Marzipan-Kartoffeln und Domino-Steine gegessen. Heiligabend schlossen meine Eltern dann das Wohnzimmer ab, stellten den Tannenbaum auf und schmückten ihn. Um 18 Uhr gingen wir alle zusammen in den Gottesdienst in die Kirche. Und wenn mein Vater, der übrigens auch Pastor ist, endlich damit durch und alle wieder zuhause waren, versammelten wir Kinder uns vor der Wohnzimmertür und warteten voller Aufregung darauf, dass das kleine goldene Glöckchen erklingt, wir durch die Tür stürzen und den Weihnachtsbaum bestaunen durften. Was haben wir jedes Mal geguckt und gestaunt! Weihnachtslieder wie das oben genannte wurden gesungen. Und schließlich gab es unser traditionelles Heiligabend- Essen: Königinnen-Pastete. Für die Geschenke mussten wir uns noch einen Tag gedulden: Die gab es bei uns immer erst am 1. Weihnachtstag. All das wiederholte sich Jahr für Jahr. Und ich liebte das! Weihnachten war und ist für mich ein Fest, das zutiefst ritualisiert begangen wird. Und an meinen liebgewonnenen Traditionen soll möglichst nicht gerüttelt werden. Dieses Jahr tut Corona aber genau das: Weihnachten kräftig durchrütteln. Gottesdienste werden (hoffentlich) stattfinden, aber anders als sonst (mehr dazu lesen Sie auf Seite 20). Dazu die Auflagen des Landes, die wohl auch das Feiern im Familienkreis betreffen werden.
Kein Zweifel: Weihnachten wird dieses Jahr anders werden. Für die einen wird das eine willkommene Abwechslung vom immer gleichen Trott. Für die anderen ein schmerzlicher Verlust. Wenn Sie zur zweiten Gruppe gehören: Trösten Sie sich! Sie sind in guter Gesellschaft. Auch Maria und Josef haben sich das Ereignis der Geburt ihres Kindes mit Sicherheit ganz anders vorgestellt. Damals lief so ziemlich alles anders als geplant. Weihnachten wurde es trotzdem. Gott kam auf die Welt. Mitten im Chaos ist damals ein Licht aufgegangen, das bis heute scheint. Und es scheint auch für maskierte Menschen, die nicht singen dürfen und Abstand zueinander halten müssen. Vielleicht gerade für die, und dann vielleicht besonders hell. Dass Sie das in dieser Weihnachtszeit erleben, das wünsche ich Ihnen!
Ihr Pastor Raphael Below
Gemeindebrief Nr. 4 - 2020 | Dezember 2020 bis Februar 2021