Mein Herzensthema Gerechtigkeit

Liebe Leser:in,
Gerechtigkeit war mir immer schon wichtig. Ich glaube, ich habe das von meinen Eltern. Schon als ich klein war, haben sie immer versucht, meine drei Brüder und mich möglichst gleich zu behandeln. Wenn zuhause Arbeiten zu erledigen waren, wurden wir grundsätzlich alle mit eingespannt. Wenn einer von uns was Süßes bekam, dann immer auch die anderen.
An Weihnachten und zu Geburtstagen bekamen wir Geschenke, die exakt so teuer waren, wie die der anderen. Für meinen Glauben hat das Thema Gerechtigkeit aber lange Zeit überhaupt keine Rolle gespielt. Als Christ geht es doch eher um Themen wie Nächstenliebe, Bibellesen, Beten und darum, zur Kirche zu gehen oder nicht? Im Rückblick muss ich sagen: Da hatte ich einen gewaltigen blinden Fleck in meinem Glauben. Inzwischen bin ich fest überzeugt: Gerechtigkeit war und ist Gottes absolutes Herzensthema! Es ist der rote Faden, der das Alte und das Neue Testament durchzieht. Im Schnitt dreht sich jeder dritte Bibelvers um dieses Thema! Das mosaische Gesetz – es mahnt Israel immer wieder zur Rücksicht gegenüber den Schwachen (Witwen, Waisen und Ausländern). Geradezu penetrant rufen die Propheten die Israeliten zu sozialer Gerechtigkeit auf! Wenn Jesus mit seiner Botschaft vom Reich Gottes durch Israel zieht, Kranke heilt, auf AußenseiterInnen zugeht und seine ZuhörerInnen zur Umkehr aufruft, geht es immer auch um dieses Thema. Nicht nur mir ist das Thema Gerechtigkeit wichtig, sondern auch Gott.
So wichtig es auch ist: Gleichzeitig bringt mich dieses Thema regelmäßig zur Verzweiflung. Ich finde es unglaublich schwierig, ein gerechtes Leben zu führen. So tief sind wir als BewohnerInnen einer Industrie-Nation verstrickt in die globale Ungerechtigkeit. Der globale Süden blutet für unseren Lebensstil und unser Konsumverhalten. Unsere Kleidung wird unter menschenverachtenden Bedingungen hergestellt. Seltene Erden aus unseren Handys stammen aus von Warlords kontrollierten Minen, in denen Kinder arbeiten. Um unseren Fleischkonsum zu ermöglichen, werden jährlich riesige Flächen im Regenwald abgeholzt, damit Platz für neue Soja- Plantagen entsteht. Der „gender paygap“ (die schlechtere Bezahlung von Frauen im Vergleich zu Männern auf Grund ihres Geschlechts) lag zuletzt auch in Deutschland noch bei über 20 Prozent. Und jedes Jahr öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich noch ein Stück weiter – international und national.
Dieser Befund schockiert mich immer wieder. Er macht deutlich: Gerechtigkeit – das ist nicht nur ein Thema für die Kindererziehung, nicht nur für Leute im biblischen Zeitalter, es ist ein Thema fürs Jetzt und Hier! Und in besonderer Weise für uns Christ:innen. Wenn auch Sie dieses Thema bewegt, ist es mein Wunsch, dass Sie damit nicht allein bleiben! Lassen Sie uns die Köpfe zusammenstecken, gemeinsam verzweifeln (viel besser als alleine!), aber auch zusammen danach suchen und streben, wie wir Gottes Herzensanliegen ernstnehmen – und unsere Welt ein Stück gerechter machen können.
Ihr Pastor Raphael Below
Gemeindebrief Nr. 3 - 2023 | September 2023 bis November 2023