Eine Liste voller Schönheit

Er hat einen weiten Weg. Aber manchmal kommt er bis hierher zu uns und da kriecht er dann in alle Ritzen. Wie ein feiner, dünner Schleier legt er sich über jeden Ort und alles: eine hauchdünne Schicht rotgelber Sand – Saharastaub. Aus der nordafrikanischen Wüste wehen ihn Winde weite Wege nicht nur bis nach Europa, sondern sogar über den Atlantik in die Regenwälder. Der Regen wäscht ihn hier und da dann irgendwann ab und nichts bleibt, was noch daran erinnert. Auf einmal ist er wieder weg, fast so schnell, wie er gekommen ist.
Der Saharastaub ist ein eigenartiges Phänomen. So fein, fast unsichtbar und doch kräftig. Aber wenn die Luft voll davon ist, kann er sogar das Licht der Sonne verändern. Sie scheint dann anders: weniger hell und ein wenig gedimmt. Ist der Staub dicht genug, lässt sich die Sonne wie im Nebel als rotoranger Kreis mit bloßem Auge am Himmel sehen und betrachten. Sonst geht das nicht. Das kann dann eine ganz eigene, besondere Stimmung sein, die genauso schnell auch wieder verfliegt. Einen Moment lang ist es so, vielleicht auch einen Tag oder zwei, bevor es auf einmal wieder vorbei ist; Sekundenglück.
Und weil ich weiß, dass mir solche Dinge oft viel zu selten in Erinnerung bleiben, habe ich angefangen, mir eine Liste zu schreiben. Neben Aufgaben und Einkaufslisten oder Pack- und Geschenkelisten, habe ich eine Liste mit schönen Dingen. Manchmal steht da nur ein Stichwort, manchmal ist es ein Satz, je nachdem. Gerade immer so viel, dass es mich wieder an die Schönheit in diesem Moment erinnert. Das sind oft kleine alltägliche Dinge, die mir durch Zufall aufgefallen sind: ob verdrehte Worte, ein besonderer Geruch oder eben der Saharastaub, an den ich seitdem immer wieder denken muss. Und im Matthäusevangelium sagt Jesus:
Seht euch die Wiesenblumen an:
Sie wachsen, ohne zu arbeiten
und ohne sich Kleider zu machen.
Ich sage euch:
Nicht einmal Salomo in all seiner Herrlichkeit
war so schön gekleidet wie eine von ihnen.
(Matthäus 6,28 – 29)
Auch dieser Vers ist so ein Blick auf das Kleine und das Unscheinbare. Er erinnert an die Schönheit dieser Welt. Aber was die Wiesenblumen und jede Erinnerung auf der Liste schön macht, ist nicht ihre Perfektion. Nicht weil sie wunderbar symmetrisch sind oder weil die Farben klar und deutlich wären, sind sie schön. Schönheit ist noch etwas anderes und auf meiner Liste stehen auch nicht nur makellose Bilder. Wirklich schön ist eher das, was mich bewegt und fasziniert. Das ist mehr als das, was ich nur sehen, riechen oder hören kann und es ist gut, dass es das gibt. Weil eben auch das zu dieser Welt dazugehört, neben allem, was sonst noch ist.
Meine Liste lenkt mich ab, immer nur bei dem zu bleiben, was gerade nicht leicht ist oder eigentlich nur schwer zu ertragen. Sie erinnert mich daran, hinzugucken und so füllt sie sich langsam immer wieder. Eine Liste voller Schönheit, gegen die Nachrichtenlage, eine volle Woche und manchmal auch geplatzte Träume. Das ist die Erinnerung, dass das nicht alles ist. Es gibt so viel Schönes, das viel zu schnell vergeht oder wieder verschwindet. Aber jeder einzelne Punkt wird zum kleinen Gegengewicht, das zwar allein nicht alles aufwiegen kann, das aber von einem Leben erzählt, das mehr ist und sich jeden Tag lohnt. Eben weil diese Welt doch auch so schön sein kann.
Pastor Christoph Tödter
Gemeindebrief Nr. 2 - 2025 | Juni 2025 bis August 2025